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Hände aus Eis
Das Vertrauensverhältnis zwischen Frauenarzt und Patientin ist fundamental für die medizinische Versorgung. Doch was geschieht, wenn dieses Vertrauen auf einem Fundament der Verheimlichung steht? Der Fall eines Frauenarztes, der trotz gravierender Verfehlungen und sogar einer Haftstrafe weiterhin in Deutschland praktizieren kann, offenbart tiefgreifende Lücken im System der ärztlichen Kontrolle.
Les mains de glace du boucher
Täter
Ein Frauenarzt, hier Hans Z. genannt (Name geändert), hat eine beunruhigende Karriere hinter sich: Nach einer Verurteilung in Frankreich und Tätigkeiten in verschiedenen deutschen Städten praktiziert er aktuell im Schwarzwald. In drei Ländern besitzt er keine Zulassung mehr, in Deutschland jedoch kann er weiter als Frauenarzt arbeiten.
Leid
Madame Véronique Scheins aus Frankreich kam bei einem Routineeingriff durch Hans Z. beinahe ums Leben. Sie kämpft auch Jahre nach dem Vorfall noch mit den schwerwiegenden Folgen der völlig fehlgeschlagenen Operation. Ihr Alltag und ihre Lebensqualität sind durch die bleibenden körperlichen Schäden grundlegend verändert.
Gewalt
Bei einer Gebärmutterspiegelung verletzte der Frauenarzt seine Patientin lebensgefährlich. Besonders verstörend: Selbst als Kollegen ihn auf die drohende Gefahr hinwiesen, setzte er den Eingriff unbeirrt fort. Eine Krankenpflegerin musste ihm schließlich das Gerät aus der Hand nehmen. Sein Vorgehen wurde in der Klinik als das eines «Metzgers» beschrieben – eine Charakterisierung, die das rücksichtslose und gefühllose Handeln verdeutlicht. Frau Scheins lebt seither mit dauerhaften Einschränkungen.
Strafe
Der Frauenarzt wurde in Frankreich wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Zudem kam es zu einem Zivilverfahren, dessen Ausgang nicht bekannt ist.
Eingesickerte Schuld
Die unauslöschliche Signatur hinter einer klinischen Fassade unter der die gleichen Hände wirken
Nach seiner Verurteilung in Frankreich tauchte Hans Z. in Deutschland auf. Ende 2024 war er kurzzeitig in einer Frauenarztpraxis in Stuttgart-Gablenberg angestellt. Entscheidend: Er verschwieg seinem Arbeitgeber seine Vorgeschichte vollständig. Als der Praxisverbund davon erfuhr, erfolgte eine umgehende Trennung, da keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gesehen wurde.
Ohne diese Vorgeschichte offenzulegen, eröffnete der Frauenarzt anschließend eine Praxis im Schwarzwald, wo er aktuell tätig ist und mit Annoncen um Patientinnen wirbt. Dabei erscheint die Gestaltung dieser Anzeigen wie eine Metapher für die Flucht vor der eigenen Identität.
Bei Konfrontationen durch die Presse reagierte Hans Z. ausweichend. Der Stuttgarter Zeitung gegenüber erwähnte er, dass sich «auf sein Betreiben hin» aktuell die deutsche Justiz mit den Vorfällen in Frankreich beschäftigen würde – ohne weitere Details zu nennen.
Zorn de lege artis
Die Aufdeckung dieses Falls durch Medienberichte löste zahlreiche, teils zutiefst bewegte Reaktionen von Leserinnen und Lesern aus. «Ich bin beunruhigt und entsetzt», sagte eine Leserin hörbar aufgebracht. Eine andere teilte ihre Ängste angesichts des «unguten Gefühls», das entstehe, besonders in Anbetracht der ohnehin schwierigen Terminlage bei Frauenärzten.
Viele Frauen fühlten sich im Ungewissen gelassen, weil sie den tatsächlichen Namen des Frauenarztes aus rechtlichen Gründen nicht erfahren können. Das Persönlichkeits- und Presserecht, das solche Namensnennung verhindert, verstärkt die Verunsicherung unter Mädchen und Frauen, die möglicherweise unwissentlich diesem Frauenarzt gegenübersitzen könnten – ein Umstand, der die Illusion der Sicherheit offenlegt, welche durch den behördlichen Blindflug stattgegeben wird.
«Warum muss man zwischen der freien Berufsausübung und dem Leben und der Gesundheit der Patientinnen abwägen?», fragte ein Leser aus Albbruck mit spürbarer Fassungslosigkeit. Für ihn ist es «eine Schande», dass es aus seiner Sicht keinen ausreichenden Schutz von Patientinnen gibt. Ein anderer Leser konnte seine Bestürzung kaum verbergen über die Möglichkeit des Frauenarztes, weiter zu praktizieren.
Besonders eindringlich wurde der Aspekt des Versorgungsmangels thematisiert: «Selbst mit der medizinischen Unterversorgung kann es nicht begründet werden, einen solchen Frauenarzt auf Patientinnen los zu lassen», sagte ein Leser mit Nachdruck. Eine andere Leserin bezeichnete es als «Skandal», dass der offensichtliche Versorgungsmangel im ländlichen Raum dem Schutz der Mädchen und Frauen übergeordnet werde – ein deutlicher Hinweis auf die institutionalisierte Gleichgültigkeit, die das System durchzieht.
Im Labyrinth der Verantwortungslosigkeit
Die Anatomie eines versagenden Systems
1. Keine internationale Wirksamkeit von Strafen: «Im Ausland verhängte Strafen oder Maßnahmen gegen eine Berufsausübung haben keine unmittelbare Wirkung hier in Deutschland», erklärte eine Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart, der zuständigen Approbationsbehörde für Baden-Württemberg.
2. Schwerfällige Verfahren: Für die Ruhendstellung oder den Widerruf einer Approbation sei die Eröffnung eines eigenen Verfahrens erforderlich, in dem der Betroffene angehört werde und Rechtsmittel einlegen könne.
3. Lückenhafte Informationssysteme: Zwar existiert das Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) der Europäischen Kommission für berufsrechtliche Sanktionen gegen Ärzte im EU-Ausland, doch wird dies nur «bedarfsbezogen» genutzt – also wenn ein konkreter Anlass besteht.
4. Keine Offenlegungspflicht: Ärzte sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Strafverfahren gegenüber künftigen Arbeitgebern offenzulegen.
5. Fehlende Behördenkommunikation: Gesicherte Quellen bestätigten, dass verantwortliche Stellen erst durch die Medienberichterstattung von der Vorgeschichte des Frauenarztes und seiner Gefängnisstrafe erfuhren.
6. Kein bundesweiter Austausch: «Es gibt ein Riesenproblem mit unserem föderalen System», hieß es aus der Ärztekammer. Man erfahre nicht einmal, «wenn etwa in Bayern ein Arzt etwas macht und dann einfach nach Baden-Württemberg [oder Thüringen] übersiedelt».
7. Fehlendes zentrales Register: Anders als beispielsweise in der Schweiz gibt es in Deutschland keine zentrale Stelle und kein nationales Register über problematische Mediziner.
Diese den Verantwortlichen bekannten Mängel führen zu einer offiziell genehmigten Patientinnengefährdung.
ICH WERDE DIE EHRE UND DIE EDLEN TRADITIONEN DES ÄRZTLICHEN BERUFES FÖRDERN
Offenbar erst durch die Medienberichterstattung alarmiert, reagierten die zuständigen Stellen. Die Ärztekammer bestätigte, dass Hans Z. seiner Meldepflicht als Frauenarzt im Zuständigkeitsbezirk ordnungsgemäß nachgekommen sei. Aufgrund der veröffentlichten Recherchen wurde eine Meldung an das Regierungspräsidium veranlasst.
«Bei Ärzten muss ein besonders strenger Maßstab angelegt werden. Aber wir können nur etwas unternehmen, wenn wir Hinweise haben», erklärte die Kammer.
Ob das Regierungspräsidium nun ein Verfahren gegen Hans Z. eröffnet hat, wird aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt – nicht einmal die zuständige Ärztekammer wird darüber informiert. Erst wenn es zu einer Aberkennung der Arztzulassung käme, würde diese davon erfahren.
DIE GESUNDHEIT UND DAS WOHLBEFINDEN MEINER PATIENTIN WERDEN MEIN OBERSTES ANLIEGEN SEIN
Die Irrwege des Hans Z. werfen ein unerbittliches Licht auf die Grenzen unseres Gesundheitssystems. Er zeigt nicht nur die Wehrlosigkeit der Mädchen und Frauen, die sich in gynäkologische Behandlung begeben, sondern auch das Schweigen, das solche Fälle umgibt. Es ist ein stiller Pakt zwischen Institutionen, Bürokratie und einer Gemeinschaft, die lieber nach vorne blickt als zurück.
Was Véronique Scheins widerfahren ist, steht nicht isoliert. Es ist Teil einer größeren Geschichte von Frauen, deren Leid im Raum zwischen Landesgrenzen, Verfahrensordnungen und dem Ruf nach Versorgungssicherheit verloren geht. Der bittere Nachgeschmack: In einer Welt voller Vernetzung, Transparenz und unmittelbarem Zugang zu Informationen aller Art, bleiben gerade jene Daten verborgen, die Patientinnen vor Schaden bewahren könnten.
Besonders nachdenklich stimmt die fast schon zynische Priorisierung einer vermeintlichen Versorgungssicherheit über die tatsächliche Sicherheit der zu versorgenden Frauen. Während Patientinnen nach Terminen ringen, öffnen sich gleichzeitig Türen für Frauenärzte, denen in anderen Ländern die Berufsausübung untersagt wurde. Es ist, als würde der verzweifelte Ruf nach mehr Frauenärzten die Frage nach ihrer Eignung übertönen.
Hinter der nüchternen Verwaltungssprache von «bedarfsbezogenen Prüfungen» und «fehlenden unmittelbaren Wirkungen» stehen Frauen wie Véronique Scheins, deren Leben durch einen einzigen gynäkologischen Eingriff für immer verändert wurde. Ihr Schicksal mahnt uns, dass jede Lücke im System, jedes Fragment in der Kommunikation zwischen Behörden, jede bürokratische Hürde beim Informationsaustausch letztlich von Mädchen und Frauen mit Körper, Seele und Zukunftsplänen bezahlt wird.
In einer Gesellschaft, die Schutzlosigkeit durch engmaschige Sicherheitsnetze zu vermeiden sucht, klafft ausgerechnet im gynäkologischen Bereich eine schmerzhafte Lücke. Der Fall des Frauenarztes, der trotz seiner Vergangenheit weiter praktizieren kann, erinnert uns daran, dass es nicht nur um Paragraphen und Zuständigkeiten geht, sondern um das grundlegende Recht jeder Patientin auf Unversehrtheit und Sicherheit – besonders in den Momenten größter Verletzlichkeit.
QUELLEN
· « Strafverfahren gegen Ärzte: Wenn der Doktor ein dunkles Geheimnis hat », Andreas Müller, Stuttgarter Zeitung, 13.03.2025 ·
· « „Schock und Schande": Verurteilter Frauenarzt im Schwarzwald löst Wut aus, Ärztekammer wird tätig », René Laglstorfer, Südkurier, 14.04.2025 ·
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