
Homburg
Sexuelle Belästigung im OP
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Der Fall des Homburger HNO-Chefarztes
1. Einleitung
Am 18. Januar 2024 begann vor dem Amtsgericht St. Ingbert der Prozess gegen Bernhard Schick, den Chefarzt der HNO-Klinik des Universitätsklinikums Homburg. Der 57-jährige Professor sah sich schwerwiegenden Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegenüber. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, im Jahr 2017 zwei Ärztinnen in insgesamt drei Fällen durch unangemessene Berührungen sexuell belästigt zu haben. Am 25. April 2024 verkündete das Gericht sein Urteil: Der Mediziner wurde in zwei Fällen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft legten Berufung ein. Seit dem 7. November 2024 wird der Fall vor dem Landgericht Saarbrücken neu verhandelt. Die Universitätsklinik hat inzwischen Konsequenzen gezogen und den Vertrag des Chefarztes gekündigt, wogegen dieser jedoch arbeitsrechtlich vorgeht. Dieser Fall verdeutlicht die Problematik sexualisierter Gewalt im klinischen Umfeld und die damit verbundenen Herausforderungen für die Betroffenen.
2. Der Täter
Bei dem Angeklagten handelt es sich um den 57-jährigen ehemaligen Chefarzt der HNO-Klinik am Universitätsklinikum Homburg. Als Professor und Klinikleiter befand er sich in einer herausgehobenen Machtposition gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Inzwischen hat die Universitätsklinik seinen Vertrag als Chefarzt gekündigt, wie der Angeklagte selbst im Berufungsverfahren mitteilte.
3. Die Betroffenen
Die Betroffenen sind zwei Assistenzärztinnen, die im hierarchischen Gefüge der Klinik dem Chefarzt unterstellt waren. Laut der Rechtsanwältin der Frauen hätten beide unter den vorgeworfenen sexuellen Belästigungen durch ihren Vorgesetzten erheblich gelitten. Sie fühlten sich «zu Objekten degradiert», wie die Anwältin im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk betonte. Im Verlauf des Prozesses konnte die sexuelle Belästigung einer der beiden Assistenzärztinnen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Der Mut dieser jungen Ärztinnen, gegen ihren Vorgesetzten auszusagen, verdient besondere Anerkennung, da sie sich damit gegen die herrschenden Machtverhältnisse stellten und ihre berufliche Zukunft riskierten.
4. Die Taten
Die Richterin des Amtsgerichts St. Ingbert sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte im Januar 2017 eine Assistenzärztin bei einer Operation an der Brust und bei einer Visite am Po unangemessen berührt hat. Nach Auffassung des Gerichts ging es dem Chefarzt dabei um sexuelle Berührungen und um eine Machtdemonstration.
Im Fall der angeblichen sexuellen Belästigung einer weiteren Assistenzärztin erfolgte ein Freispruch, da es laut Richterin nicht aufzuklärende Widersprüche in den Aussagen gab.
5. Die Aufdeckung
Hierzu liegen aus den vorliegenden Artikeln keine detaillierten Informationen vor. Die Tatsache, dass die Übergriffe aus dem Jahr 2017 erst 2024 vor Gericht verhandelt wurden, lässt jedoch auf einen langen und schwierigen Weg bis zur Anzeige und Anklageerhebung schließen. Für die betroffenen Assistenzärztinnen bedeutete dies vermutlich jahrelangen psychischen Druck und Unsicherheit.
6. Ermittlungen und Verfahren
Erstinstanzliches Verfahren
Der Prozess begann am 18. Januar 2024 vor dem Amtsgericht St. Ingbert. Zum Prozessauftakt wies der angeklagte Mediziner die Vorwürfe in einem persönlichen Statement entschieden zurück. Er gab an, zu den fraglichen Zeitpunkten nicht mit den Ärztinnen in einem Raum gewesen zu sein. Dies würden auch Dokumentationen der Klinik belegen. Zudem sei eine sexuelle Belästigung während einer laufenden Operation, wie ihm vorgeworfen wird, nicht denkbar.
Die Verteidigung forderte in allen drei Fällen Freispruch und argumentierte, die Angaben der Betroffenen seien durch Dokumentationen und andere Aussagen widerlegt. Die Staatsanwaltschaft hingegen forderte eine Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen wegen aller drei angeklagten Fälle.
Am 1. Februar 2024 wurden die beiden betroffenen Ärztinnen vernommen. Das Urteil wurde am 25. April 2024 verkündet.
Berufungsverfahren
Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert ein, wie beide Seiten auf SR-Anfrage mitteilten. Die Nebenklage hingegen teilte mit, sie verzichte auf Rechtsmittel.
Am 7. November 2024 begann vor dem Landgericht Saarbrücken das Berufungsverfahren gegen den ehemaligen Chefarzt. Zum Prozessauftakt wies der Angeklagte die Vorwürfe erneut zurück. Er beteuerte, zum Zeitpunkt der angeblichen Belästigungen 2017 gar nicht anwesend gewesen zu sein.
Sein Verteidiger Daniel Sprafke bekräftigte, dass Dokumentationen aus der Klinik die Unschuld seines Mandanten beweisen würden: «Deshalb sind die erhobenen Vorwürfe durch einfaches Studium solcher Dokumentationen in Zweifel zu ziehen bzw. ihr Gegenteil zu beweisen», sagte er dem Saarländischen Rundfunk.
Im Berufungsverfahren wird nicht nur über die Verurteilung verhandelt, sondern auch über den Freispruch vom Vorwurf der unangemessenen Berührung der zweiten Assistenzärztin. Das Verfahren könnte laut Berichten bis Januar 2025 dauern.
7. Urteil und Konsequenzen
Erstinstanzliches Urteil
Das Amtsgericht St. Ingbert verurteilte den Chefarzt der Homburger HNO-Klinik am 25. April 2024 wegen zweifacher sexueller Belästigung einer Assistenzärztin zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. In einem weiteren Fall wurde er freigesprochen, da es laut Gericht nicht aufzuklärende Widersprüche in den Aussagen gab.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig geworden, da sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt haben. Die Anwältin der betroffenen Ärztin hatte sich nach der Urteilsverkündung erfreut gezeigt und von einem «Urteil mit Signalwirkung» gesprochen. Die Nebenklage verzichtete auf eigene Rechtsmittel.
Auffällig ist die Höhe der verhängten Geldstrafe: Der HNO-Chefarzt würde selbst nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu 90 Tagessätzen nicht als vorbestraft gelten, da eine Vorstrafe erst ab einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen im polizeilichen Führungszeugnis erscheint. Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich 120 Tagessätze gefordert.
Berufliche Konsequenzen
Trotz des noch nicht rechtskräftigen Urteils hat die Universitätsklinik Homburg arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen. Seit dem 10. Mai 2024 - etwa zwei Wochen nach der Verurteilung - war der Professor auf der Webseite der HNO-Klinik nicht mehr als Klinikleiter verzeichnet. Dies berichtete zuerst die Saarbrücker Zeitung.
Inzwischen hat das Universitätsklinikum den Vertrag des Chefarztes gekündigt, wie der 57-jährige Mediziner selbst im Berufungsverfahren mitteilte. Er hat gegen diese Kündigung Klage am Arbeitsgericht eingereicht. Somit laufen parallel zum Strafverfahren auch arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen.
Zu den genauen Hintergründen der Kündigung hielt sich das Universitätsklinikum bedeckt. Ein Sprecher hatte dem Saarländischen Rundfunk im Mai lediglich mitgeteilt, er könne zu möglichen arbeitsrechtlichen Maßnahmen im aktuellen Fall aus Gründen des Datenschutzes und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten keine Auskunft geben.
8. Gesellschaftliche Einordnung
Der Fall des früheren Homburger HNO-Klinikchefs zeigt die verborgene Realität sexualisierter Gewalt in medizinischen Einrichtungen und die besondere Verwundbarkeit von Assistenzärztinnen in diesem Kontext. Die steile Hierarchie im Gesundheitswesen schafft ein Machtgefälle, das Grenzverletzungen begünstigen kann.
Der Fall macht deutlich, wie schwer es für Betroffene in hierarchisch strukturierten Institutionen ist, sexuelle Übergriffe zur Anzeige zu bringen. Die lange Zeit zwischen den Vorfällen (2017) und dem Prozess (2024) unterstreicht diese Barrieren. Frauen, die solche Übergriffe anzeigen, riskieren berufliche Nachteile, Stigmatisierung oder werden mit Unglauben konfrontiert.
Die Feststellung der Richterin, dass es dem Täter um sexuelle Berührungen und Machtdemonstration ging, verdeutlicht die zweifache Gewalt gegen die betroffenen Frauen: Sie wurden sexualisiert und gedemütigt, während sie gleichzeitig in ihrer fachlichen Kompetenz und ihrem professionellen Status tiefgreifend missachtet wurden.
Ein Chefarzt, der während medizinischer Handlungen wie Operationen seine Untergebenen sexuell belästigt, begeht eine besonders verabscheuungswürdige Form des Machtmissbrauchs. Hier stellt sich unweigerlich die Frage: Wie können wir ein System dulden, das Menschen mit solchen Neigungen in höchste Positionen befördert? Müssen wir nicht dringend hinterfragen, ob die aktuellen Auswahlprozesse für medizinische Führungspositionen überhaupt geeignet sind, ethisches Verhalten zu erkennen und zu fördern? Und was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass Chefärzte offenbar so lange als unantastbar galten, dass solche Vorfälle erst Jahre später geahndet werden?
Die Kündigung des Chefarztes durch die Klinikleitung erfolgte vermutlich primär aus Imagegründen und dem Bestreben, Reputationsschäden zu vermeiden – nicht aus echter Sorge um die betroffenen Mitarbeiterinnen. Die zurückhaltende Kommunikation und das Ausbleiben einer klaren Positionierung seitens der Klinik unterstreichen diese Vermutung und lassen tiefe Zweifel am tatsächlichen Kulturwandel im Umgang mit sexualisierter Gewalt in Kliniken aufkommen.
Fälle wie dieser machen deutlich, dass wir dringend sichere Meldewege für Betroffene, klare Richtlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im medizinischen Kontext und einen grundlegenden kulturellen Wandel brauchen, der die Rechte und die Würde aller am Gesundheitswesen Beteiligten in den Mittelpunkt stellt.
Quelle