Paris
Kindesmissbrauch & Vergewaltigungen
Der Frauenarzt Prof. Emile Daraï
Vor September 2021
Emile Daraï war ein angesehener Frauenarzt und Endometriose-Spezialist am Pariser Krankenhaus Tenon. Als Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe genoss er hohes Ansehen in der medizinischen Gemeinschaft Frankreichs.
September 2021 - Erste öffentliche Vorwürfe
Die Kontroverse begann, als mehrere Medizinstudentinnen beim Kollektiv "Stop aux violences obstétricales et gynécologiques" (Stop VOG) Vorwürfe erhoben. Sie berichteten von schmerzhaften und gewaltsamen gynäkologischen Untersuchungen, die Daraï durchgeführt hatte.
Patientinnenberichte aus dieser Zeit beschrieben:
- «Er führte ohne Vorankündigung eine rektale Untersuchung durch»
- «Ich schrie 'Stopp', aber er hörte nicht auf»
- «Ich spürte, wie meine Nähte rissen, während er die Untersuchung fortsetzte»
- Viele beklagten den Mangel an Empathie und die Brutalität der Untersuchungen
28. September 2021
Die Pariser Staatsanwaltschaft leitete eine erste Voruntersuchung ein. Der anfängliche Vorwurf lautete «Vergewaltigung durch eine Person mit Autorität über eine Minderjährige von 15 Jahren».
7. Oktober 2021
Als erste Konsequenz wurde Daraï von seinen Leitungsfunktionen am Krankenhaus Tenon und seinen Lehraufgaben an der Universität entbunden. Bedeutsam: Er durfte weiterhin als Arzt am Krankenhaus praktizieren.
Dezember 2021 - Interner Untersuchungsbericht
Die öffentlichen Krankenhäuser von Paris (AP-HP) und die Sorbonne-Universität veröffentlichten einen internen Untersuchungsbericht. Darin wurde festgestellt:
«Die Informationspflicht gegenüber den Patientinnen, die Linderung ihrer Schmerzen und die Achtung ihres Willens wurden nicht eingehalten.»
Die Kommission betonte außerdem, dass die Situation «das Ergebnis individueller, aber auch kollektiver und systemischer Dysfunktionen» sei.
Der Bericht wies jedoch darauf hin:
«Die Untersuchungskommission stellt keine sexuelle Konnotation fest, obwohl bei der Einholung der Einwilligung zu bestimmten Handlungen Mängel festgestellt wurden.»
Dezember 2021 - Erste Reaktion von Daraï
In einem Brief an Martin Hirsch, den Generaldirektor der öffentlichen Krankenhäuser von Paris, schrieb Daraï:
«Ich bin gezwungen anzuerkennen, dass diese Frauen die klinische Untersuchung, die ich durchgeführt habe, als ohne Empathie und Wohlwollen empfinden konnten. [...] Es tut mir zutiefst leid, und ich möchte ihnen meine aufrichtigsten Entschuldigungen aussprechen.»
3. Januar 2022
Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein förmliches Ermittlungsverfahren. Bemerkenswert ist die Neuqualifizierung der Vorwürfe: statt «Vergewaltigung» lautete der Vorwurf nun «vorsätzliche Gewalt durch eine mit öffentlichen Aufgaben betraute Person» gegen 32 mutmaßliche Opfer.
Diese rechtliche Neuqualifizierung der Vorwürfe zeigt die Schwierigkeit, Taten zu definieren, die einen Penetrationsakt und eine vermutete Einwilligung zwischen Arzt und Patientin verbinden.
Ende November 2022
Daraï wurde offiziell angeklagt und unter gerichtliche Aufsicht gestellt. Die Auflagen umfassten:
- Kontaktverbot zu den mutmaßlichen Opfern
- Verbot, private gynäkologische Sprechstunden abzuhalten
18. Januar 2023
Das Pariser Berufungsgericht hob das Verbot der privaten Sprechstunden auf - eine Entscheidung, die bei Opferverbänden auf Kritik stieß.
Anfang Januar 2023
Das Kollektiv "Stop VOG" startete eine Online-Petition mit der Forderung nach vollständiger Suspendierung des Arztes. Diese Petition erreichte schnell über 20.800 Unterschriften.
Spätere Stellungnahmen von Daraï
In Vernehmungen durch die Polizei, die von der Zeitung Le Monde eingesehen werden konnten, änderte Daraï seinen Ton deutlich:
- Er bezeichnete die Vorwürfe als «wahnhaft» und «unverständlich»
- Er stellte sich als «Sündenbock» einer «politischen Abrechnung» dar
- Er bestritt alle Vorwürfe nachdrücklich
März 2025
Der Pariser Stadtrat stimmte einstimmig für die Einstellung der Konsultationen von Dr. Daraï.
Die Patientinnenberichte im Detail
Die Berichte der Patientinnen wiesen gemeinsame Muster auf:
1. Mangelnde Aufklärung: Viele Patientinnen gaben an, vor den Untersuchungen nicht informiert worden zu sein. Eine Patientin berichtete: «Er kündigte nie an, was er tun würde. Plötzlich spürte ich einen starken Schmerz und realisierte, dass er eine rektale Untersuchung durchführte.»
2. Ignorieren von Schmerzäußerungen: «Ich weinte und bat ihn aufzuhören. Er sagte nur, ich solle mich entspannen und machte weiter», berichtete eine andere Frau.
3. Fehlen von Einfühlungsvermögen: «Er behandelte mich wie ein Objekt. Während der Untersuchung diskutierte er mit Studenten über meinen Fall, als ob ich nicht anwesend wäre.»
4. Brutale Untersuchungsmethoden: Viele beklagten den Mangel an Empathie und die Brutalität der Untersuchungen. Eine Patientin beschrieb: «Die Untersuchung fühlte sich wie eine Bestrafung an, nicht wie eine medizinische Behandlung.»
Auswirkungen auf die medizinische Praxis
Als direkte Folge des Skandals veränderte sich die gynäkologische Praxis in Frankreich:
1. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften veröffentlichten eine "Konsultationscharta", die unter anderem folgende Punkte betont:
- «Die mündliche Zustimmung der Frau muss vor jeder klinischen Untersuchung eingeholt werden»
- «Jede Untersuchung kann unterbrochen werden, sobald die Patientin dies wünscht»
- «Die Kommunikation zwischen Arzt und Patientin muss respektvoll und auf Augenhöhe stattfinden»
2. In Universitätskliniken wurden zusätzliche Schulungen für medizinisches Personal zum Thema Einwilligung und respektvoller Umgang mit Patientinnen eingeführt.
Der Fall Daraï hat in Frankreich eine tiefgreifende Diskussion über Machtverhältnisse in der Medizin und die Notwendigkeit eines umfassenden Einwilligungskonzepts ausgelöst. Die juristische Aufarbeitung dauert noch an.
[ich hätte noch einen 3. Punkt]
Aktuelle Entwicklungen
Im März 2025 stimmte der Pariser Stadtrat einstimmig für die Einstellung der Konsultationen von Dr. Emile Daraï. Die Kontroverse um seine Person wurde auch bei den César Awards 2024 erwähnt, wobei ein Dokumentarfilm zu dem Thema präsentiert wurde.
Die Wahrnehmung der französischen Öffentlichkeit von Frauenärzten nach der Affäre um Emile Daraï
Die Affäre um Emile Daraï hat in Frankreich zu einer tiefgreifenden Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung von Frauenärzten geführt. Diese Entwicklung lässt sich in mehreren Bereichen beobachten:
Gesteigertes Bewusstsein für Patientinnenrechte
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Daraï entstand eine breite öffentliche Diskussion über die Rechte von Patientinnen in gynäkologischen Untersuchungssituationen. Viele Frauen wurden sich durch die mediale Berichterstattung erstmals bewusst, dass sie ein Recht auf:
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Vollständige Aufklärung vor jeder Untersuchung haben
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Ihre Einwilligung jederzeit zurückziehen können
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Schmerzfreie oder schmerzarme Untersuchungen verlangen können
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Eine respektvolle Kommunikation erwarten dürfen
Kritischere Haltung gegenüber medizinischer Autorität
Die Frauen in Frankreich haben nach der Daraï-Affäre begonnen, die traditionell hierarchische Arzt-Patientin-Beziehung stärker zu hinterfragen. Dies äußert sich durch:
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Häufigeres Einholen von Zweitmeinungen
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Vermehrte Recherche vor Arztterminen
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Gestiegene Bereitschaft, bei Unwohlsein den Arzt zu wechseln
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Aktive Auswahl von Ärztinnen und Ärzten, die für eine patientenzentrierte Behandlung bekannt sind
Systemische Veränderungen in der gynäkologischen Praxis
Der Fall führte nicht nur zu einer veränderten Wahrnehmung, sondern auch zu konkreten Änderungen in der Praxis:
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Transparentere Kommunikationsprozesse während Untersuchungen
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Verstärkte Präsenz von medizinischem Assistenzpersonal bei Untersuchungen
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Detailliertere Aufklärungsgespräche vor invasiven Eingriffen
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Etablierung von niedrigschwelligen Beschwerdewegen für Patientinnen
Polarisierung der öffentlichen Meinung
Die öffentliche Debatte über den Fall hat auch zu einer gewissen Polarisierung geführt:
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Einerseits mehr Solidarität mit betroffenen Frauen und größeres Verständnis für ihre Erfahrungen
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Andererseits Verteidigung der medizinischen Gemeinschaft durch Teile der Gesellschaft, die eine "Überregulierung" der medizinischen Praxis befürchten
Mediale Aufmerksamkeit und gesellschaftlicher Diskurs
Die Berichterstattung über den Fall hat gynäkologische Gewalt zu einem Thema des öffentlichen Diskurses gemacht:
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Vermehrte Medienbeiträge zum Thema respektvolle gynäkologische Versorgung
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Öffentliche Diskussionsveranstaltungen zum Thema Patientinnenrechte
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Erhöhte Bereitschaft von Frauen, ihre negativen Erfahrungen öffentlich zu teilen
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Gestiegenes Interesse an Aufklärungsarbeit zu Körperautonomie
Diese Veränderungen spiegeln einen grundlegenden Wandel im Verständnis der Beziehung zwischen Frauenärzten und ihren Patientinnen wider. Der Fall Daraï hat als Katalysator für eine längst überfällige Diskussion gedient und bewirkt, dass das Thema Einwilligung und Respekt in der gynäkologischen Behandlung nun prominent auf der gesellschaftlichen Agenda steht.