Montpellier

 

 

Geburtshelfer zu 12 Jahren Haft wegen Vergewaltigung von Patientinnen unter dem Deckmantel medizinischer Handlungen verurteilt

 

 

 

Lionel Charvin, ein männlicher Hebamme aus Montpellier, wurde zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde beschuldigt, seinen Patientinnen sexuelle Handlungen aufgezwungen zu haben, darunter unerwünschte Massagen und digitale Penetrationen. Der Generalstaatsanwalt hatte auf der Höchststrafe für solche Fälle bestanden, nämlich 20 Jahre.

 

 

Am 26. Februar verurteilte das Strafgericht des Département Hérault den 49-jährigen männlichen Hebammen Lionel Charvin zu 12 Jahren Haft. Er wurde beschuldigt, zwischen 2013 und 2016 seinen Patientinnen während der Geburtsvorbereitung und bei der nachgeburtlichen Betreuung sexuelle Handlungen aufgezwungen zu haben. Insgesamt wurde er wegen 11 Vergewaltigungen und einer sexuellen Nötigung verurteilt, berichtet der lokale Sender France Bleu.

 

 

Die systematischen Missbrauchshandlungen

 

Während einige Klientinnen von einer Dammassage berichteten, die sie als Masturbation empfanden, warfen andere dem Praktiker vor, ihnen eine digitale Penetration sowie Orgasmen gegen ihren Willen unter dem Vorwand einer therapeutischen Wirkung aufgezwungen zu haben, wird präzisiert.

 

Der Fall offenbart ein schwerwiegendes Missbrauchsmuster, bei dem medizinische Behandlungen als systematischer Vorwand für sexualisierte Gewalt genutzt wurden. Charvin nutzte gezielt die vulnerable Situation von Frauen während und nach der Schwangerschaft aus, ein Zeitpunkt, in dem sie besonders auf medizinische Betreuung angewiesen waren.

 

Der Anwalt von fünf Klägerinnen, Rechtsanwalt Iris Christol, verwies auf den «Effekt des weißen Kittels» – ein Hinweis auf die besondere Vertrauensposition, die Mediziner gegenüber ihren Patientinnen einnehmen und die Charvin systematisch missbrauchte.

 

 

«Ich liebte diese Patientinnen»

 

Während er den betroffenen Frauen gegenüber sein Bedauern ausdrückte, bestritt Lionel Charvin jede Absicht, die über seine Praxis hinausging.

 

«Ich trage einen Teil der Verantwortung für das Leid dieser Patientinnen, aber es war nie beabsichtigt. Ich liebte diese Patientinnen», erklärte er laut francetvinfo. «Meine Vor- und Nachgeburtsbetreuung basierte stark auf Sexualität. Ich bitte immer um die Zustimmung der Patientinnen, wenn ich mich den Geschlechtsorganen nähere.»

 

Diese Äußerungen zeigen das für Täter typische Muster, zwar eine gewisse Verantwortung einzugestehen, aber gleichzeitig die eigentliche Schuld und Absicht zu leugnen. Charvins Rechtsvertreterin Maryse Pechevis verfolgte eine bemerkenswerte Verteidigungsstrategie, indem sie eine mögliche geschlechtsspezifische Diskriminierung ihres Mandanten ins Spiel brachte: «Wäre Lionel Charvin auch beschuldigt worden, wenn er eine Frau wäre?», fragte sie. Sie behauptete, das einzige Ziel Charvins sei es gewesen, die körperliche Funktionstüchtigkeit seiner Patientinnen und ihr Wohlergehen wiederherzustellen.

 

Ein psychiatrischer Gutachter kam zu dem Schluss, dass Charvin ein «Gelegenheitstäter» sei, der über eine «perverse» Persönlichkeit verfüge. Die Kindheit des Beschuldigten sei von familiärer Gewalt, Alkoholismus und mehrfachem Inzest geprägt gewesen.

 

 

Die Staatsanwaltschaft forderte die Höchststrafe

 

Die Höchststrafe für solche Fälle, die 20 Jahre beträgt, wurde vom Generalstaatsanwalt Albert Cantinol gefordert. Unter dem «Deckmantel der Vertrautheit» habe Charvin sich an seinen Patientinnen vergriffen, erklärte der Staatsanwalt während des Prozesses. «Er machte sie zu Opfern, die in ihren Schuldgefühlen gefangen waren.»

 

«Er hat die tiefe Intimität dieser Frauen berührt. Dieser Mann hat eine doppelte Persönlichkeit: eine charmante und verführerische Seite, er bringt sowohl die Frauen als auch ihre Ehemänner zum Wohlfühlen, aber auch seine Angreiferseite, die die Stimme ändert, manchmal kein Wort sagt», führte der Anwalt aus, wie francetvinfo weiter berichtet.

 

 

Die traumatischen Folgen für die Opfer

 

Besonders problematisch ist die Situation, in der sich die Opfer befanden. Viele von Charvins Patientinnen hatten angegeben, sich während der Missbräuche wie «gelähmt» gefühlt und sich zunächst nicht getraut zu haben, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Alle sprachen von einem massiven Vertrauensbruch, der sich in einer Zeit ereignet habe, in der sie besonders verwundbar gewesen seien.

 

Diese Reaktion entspricht dem, was Experten über das Verhalten von Betroffenen sexueller Gewalt wissen: Im Moment des Übergriffs empfinden viele Betroffene völlige Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein. Sexuelle Übergriffe durch medizinisches Personal haben oft schwerwiegende psychische Folgen für die Betroffenen. Die traumatischen Erlebnisse können zu anhaltenden Störungen führen, besonders im Bereich der Sexualität und des Vertrauens in medizinisches Personal.

 

 

Öffentliche Reaktionen

 

In den Kommentarspalten französischer Medien löste der Fall heftige Diskussionen aus. Eine Leserin schrieb: «Das ist der Grund, weshalb es keine männlichen Geburtshelfer geben sollte.» Eine andere teilte eigene Erfahrungen: «Ich war vor einigen Jahren beim Allergologen... Sexueller Missbrauch in medizinischen Einrichtungen kommt häufiger vor, als man denkt.»

 

Eine weitere Kommentatorin verurteilte die Verteidigungsstrategie scharf: «Geschlechterspezifische Diskriminierung? Gehts noch? Wenn der Geburtshelfer eine Frau gewesen wäre, wäre es wohl zu keinen Vergewaltigungen gekommen. Manche Anwälte sind eine Schande für den Rechtsstaat.»

 

 

Rechtliche Bedeutung des Falls

 

Der Fall Charvin illustriert eine wichtige rechtliche Dimension: Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses steht allein das scheinbare Einvernehmen des Opfers mit der vorgenommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Die Rechtsprechung betrachtet sexuelle Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses grundsätzlich als strafbar, selbst wenn sie vordergründig medizinisch indiziert erscheinen.

 

Die Verurteilung zu zwölf Jahren Haft unterstreicht die Schwere der Taten, auch wenn sie unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Höchststrafe liegt. Der Fall mahnt zur Wachsamkeit und zeigt, wie wichtig es ist, Betroffenen zu glauben und sie zu unterstützen, wenn sie den Mut finden, über solche Erfahrungen zu sprechen.