
𝙱𝚎𝚛𝚕𝚒𝚗:
𝙵𝚛𝚊𝚞𝚎𝚗𝚊𝚛𝚣𝚝 𝚟𝚎𝚛𝚐𝚎𝚠𝚊𝚕𝚝𝚒𝚐𝚝𝚎 𝚣𝚠𝚎𝚒 𝙹𝚊𝚑𝚛𝚣𝚎𝚑𝚗𝚝𝚎 𝚕𝚊𝚗𝚐 𝚖𝚎𝚑𝚛𝚏𝚊𝚌𝚑 𝙿𝚊𝚝𝚒𝚎𝚗𝚝𝚒𝚗𝚗𝚎𝚗
Der Fall eines Berliner Frauenarztes, der 2009 eine Patientin während einer scheinbaren Routineuntersuchung vergewaltigte, wirft beunruhigende Fragen auf – und enthüllt ein System von Missbrauch, das erst Jahre später in vollem Ausmaß sichtbar wurde.
Das Verwaltungsgericht Berlin entzog dem Frauenarzt 2020 erst vollständig die Approbation und betonte:
«Die systematische Ausnutzung sprachlich und emotional vulnerabler Migrantinnen in Kinderwunschbehandlung zeigt skrupellose Planmäßigkeit.»
Die zeitliche Lücke zwischen den Urteilen wirft ein grelles Licht auf strukturelle Defizite: Erst späte Zeugenaussagen und anonyme Hinweise zerrissen den Schleier des Schweigens – ein Lehrstück darüber, wie Machtmissbrauch im weißen Kittel jahrzehntelang unentdeckt blieb.
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VORSCHAU
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▹ Part ₁ ‧ Das Urteil von 2014
Das Landgericht Berlin sprach den Frauenarzt 2013 zunächst mangels Beweisen frei. Zudem werteten die Richter sein Geständnis gegenüber dem Ehepaar
«Ich war von ihrer Haut erregt.»
lediglich als panische Schutzbehauptung, um eine Polizeianzeige zu verhindern. Doch das Urteil hielt rechtlicher Prüfung nicht stand – der Bundesgerichtshof hob es 2014 auf und verwies den Fall zurück.
▹ Part ₂ ‧ Die Enthüllung von 2020
Erst sechs Jahre später fiel das endgültige Urteil – und offenbarte ein erschütterndes Muster: Der Arzt hatte bereits in seiner Münchner Zeit in der damaligen Gemeinschaftspraxis und auch mehrfach seiner Berliner Gemeinschaftspraxis, und das vor der Haupttat 2009, immer wieder Patientinnen vergewaltigt, indem er medizinische Eingriffe für sexuelle Handlungen instrumentalisierte. Trotz Zeug*innen blieb der Frauenarzt straffrei, wurde von seinen Frauenarzt-Kollegen gedeckt und wäre 2013 fast erneut davongekommen.
2020 erst entzog man diesem Serienvergewaltiger seine Zulassung. Also quasi vorgestern. Seine Verbrechen, die völlig skrupelloseen Misshandlungen und die Traumatisierungen mehrerer Menschen erstreckten sich dabei über zwei Jahrzehnte und es ging lediglich 2013 ein Zeitungsschnipsel (1 Absatz) am 27.08.2013 - 10:58, durch die Bild-Zeitung, und am selben Tag, 138 Minuten später, über die Berliner Mopo, an die Öffentlichkeit. Danach geschah medial 11 Jahre, 5 Monate und 10 Tage nichts.
Der Fall klingt unglaublich und es ist einfach nur erschreckend, wie das alles unbehelligt, unkommentiert, und ungesehen geschehen kann.
Aber lest selbst:
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▷ Part ₁ ‧ Das Urteil von 2014
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Berlin, 18. Juni 2014
▪︎ «Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf einer zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit einem Vergehen nach § 174c StGB aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Nebenklägerin hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
⒈ Das Landgericht ist im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen und Wertungen gekommen:
ᵃ Die aus Kambodscha stammende und der deutschen Sprache kaum mächtige Nebenklägerin begab sich im August 2009 wegen eines unerfüllten Kinderwunsches in die gynäkologische Behandlung des Angeklagten. Zu den Untersuchungen wurde sie von ihrem damaligen Ehemann begleitet, der dabei Übersetzungsdienste leistete. Bei einem Termin vom 9. September 2009 stellte der Angeklagte den Behandlungsstuhl so ein, dass die Nebenklägerin "ihren Unterleib nicht im Blick hatte". Sie war darüber irritiert und argwöhnte, dass der Angeklagte während der Untersuchung seinen Penis in ihre Scheide eingeführt habe. Die Eheleute wollten die nächste Behandlung abwarten und dann entscheiden, was zu tun sei.
Zum nächsten Termin am 23. September 2009 erschienen beide Eheleute. Als die Nebenklägerin in das Sprechzimmer gebeten wurde, befand sich ihr Ehemann auf der Toilette. Deswegen meinte der Angeklagte, dass die Nebenklägerin allein gekommen sei. Nachdem die Nebenklägerin auf dem Untersuchungsstuhl in dem an das Sprechzimmer angrenzenden Untersuchungszimmer Platz genommen hatte, verschloss er von ihr unbemerkt die Verbindungstür zwischen Untersuchungs- und Sprechzimmer. Dies widersprach der ständigen Übung in der Arztpraxis, nach der die Verbindungstür nur zugezogen, niemals aber verschlossen wurde. Dass der Ehemann der Nebenklägerin nach Rückkehr von der Toilette von einer Arzthelferin ins Sprechzimmer gebeten wurde, bemerkte der Angeklagte nicht.
Der Angeklagte brachte den Untersuchungsstuhl in eine Position wie bei der vorherigen Behandlung. Während der Untersuchung fasste die Nebenklägerin den dringenden Verdacht, dass der Angeklagte mit seinem Glied in sie eingedrungen sei. Sie sagte: "Nein! Nein!" und versuchte sich aufzurichten. Der Angeklagte drückte ihre Schulter auf die Rückenlehne des Untersuchungsstuhls zurück. Dadurch verdichtete sich ihr Verdacht. Sie sagte lauter "Nein! Nein!", richtete sich auf und rief nach ihrem Ehemann. Dieser eilte zur Verbindungstür, um ihr zu Hilfe zu kommen, konnte die Tür aber nicht öffnen. Die Nebenklägerin lief zur Tür und schloss sie mit dem innen steckenden Schlüssel auf, woraufhin ihr Ehemann ins Untersuchungszimmer trat. Der Angeklagte saß zu diesem Zeitpunkt auf einem Hocker vor dem Untersuchungsstuhl und hielt beide Hände so in seinem Schritt, dass der Reißverschluss seiner Hose verdeckt war.
Die Nebenklägerin warf dem Angeklagten vor, "mit ihr Sex gemacht zu haben", was dieser zurückwies. Beide Eheleute bedrängten ihn nachhaltig, die Tat zuzugeben. Der Ehemann der Nebenklägerin drohte mit der Polizei, wenn der Angeklagte nicht gestehe. Daraufhin bestätigte der Angeklagte die Richtigkeit des Vorwurfs und "erklärte dem Ehepaar, er sei der schönen Haut der Zeugin wegen erregt gewesen und müsse sich entschuldigen". Die Nebenklägerin verlangte die Herausgabe des vom Angeklagten benutzten Kondoms. Dieser erwiderte, er habe nur Fingerlinge verwendet. Die Nebenklägerin lief zum Abfalleimer und entnahm zwei obenauf liegende Medizinalkondome, von denen eines aus der sie betreffenden Untersuchung herrührte. Der Angeklagte bot den Eheleuten an, die weiteren Behandlungen kostenlos durchzuführen.
Noch aus der Arztpraxis heraus verständigte der Ehemann der Nebenklägerin die Polizei. Die Eheleute verließen die Praxis und warteten auf der Straße auf die Polizei. Nach deren Eintreffen erfolgte die erste Vernehmung der Nebenklägerin, bei der ihr Ehemann übersetzte. Nachdem der Angeklagte durch eine Arzthelferin von der Verständigung der Polizei unterrichtet worden war, verließ er fassungslos die Praxis, ohne sich umzuziehen.
ᵇ Das Landgericht hat sich nicht von der Richtigkeit der von der Nebenklägerin erhobenen Vorwürfe zu überzeugen vermocht. Eine bewusste Falschbezichtigung des Angeklagten hat es dabei ausgeschlossen. Jedoch weise die Aussageentwicklung Inkonstanzen auf, die unter anderem die Frage beträfen, ob die Nebenklägerin das Glied des Angeklagten und die Penetration gesehen habe. Dieser Widersprüche wegen vermittle sich kein zuverlässiges Bild, aufgrund welcher Empfindung die Nebenklägerin zu ihrer Annahme gelangt sei. Auch unter Berücksichtigung des "Geständnisses" des Angeklagten gegenüber den Eheleuten, das nicht einmal indizielle Wirkung entfalte, sowie des Abschließens der Verbindungstür sei keine hinreichende Grundlage für die Feststellung sexueller Handlungen gegeben.
⒉ Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Revisionsgericht hat es zwar regelmäßig hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Das Revisionsgericht kann und muss allerdings eingreifen, wenn dem Tatgericht - wie hier - Rechtsfehler unterlaufen sind.
ᵃ Das Landgericht hat eine Reihe von Belastungsindizien festgestellt: Das als zutreffend empfundene Vorbringen des Tatvorwurfs durch die Nebenklägerin "in flagranti" im Untersuchungszimmer, das dabei - vom Angeklagten abgestritten - ohne erkennbaren objektiven Anlass unüblicherweise abgeschlossen war; die anschließende Abgabe eines - vom Angeklagten abgestrittenen - Tatgeständnisses gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann; schließlich das - ebenfalls abgestrittene - alsbaldige kopflose Verlassen der Praxisräume. Im Anschluss daran fehlt dem Urteil eine vollständige Auseinandersetzung mit der gesamten Beweislage im Sinne der von der Rechtsprechung verlangten Gesamtwürdigung. Indes kann das Urteil jedenfalls allein wegen der unzureichenden Bewertung des "Geständnisses" keinen Bestand haben:
ᵇ Diesem gegenüber der Nebenklägerin und ihrem Ehemann abgegebenen "Geständnis" und dem zu den Behandlungskosten unterbreiteten Angebot des Angeklagten spricht das angefochtene Urteil jegliche Beweisbedeutung ab; es erscheine nachvollziehbar, dass dieser die Vorwürfe nur eingeräumt habe, um "die auch bei einer Unrichtigkeit der Tatvorwürfe doch sehr unangenehme Einschaltung der Polizei zu verhindern, das Ehepaar zu beruhigen und zunächst einmal immerhin Zeit zu gewinnen". Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat damit nicht naheliegende Möglichkeiten zugrunde gelegt, ohne für sein Ergebnis tragfähige Gründe anzuführen. Der Angeklagte hatte sich auf die ihm vom Landgericht unterstellten Zielsetzungen nicht berufen, vielmehr sowohl ein "Geständnis" als auch ein Kostenübernahmeangebot gänzlich in Abrede gestellt. Die Annahmen der Strafkammer sind dabei mit den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht ohne Weiteres vereinbar. Danach liegt es schon nicht nahe, dass ein Arzt eine bei der Berufsausübung begangene schwere Sexualstraftat in der Hoffnung auf Vermeidung einer Strafanzeige sowie zum Zweck des Zeitgewinns wahrheitswidrig auf sich nimmt und damit gravierende straf- und berufsrechtliche Sanktionen riskiert. Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte nach den Feststellungen nicht auf ein "reines Geständnis" beschränkt hat. Vielmehr hat er - was in den Urteilsgründen überhaupt nicht erörtert wird - sein Verhalten damit erklärt und entschuldigt, dass er wegen der schönen Haut der Nebenklägerin erregt gewesen sei. Die von der Strafkammer vermuteten Motive des Angeklagten bieten für ein solchermaßen "qualifiziertes" Geständnis keine Erklärung. Fehlen aber nach den bisherigen Feststellungen tatsächliche Anhaltspunkte für eine Sachverhaltsvariante oder widerstreiten die konkreten Gegebenheiten dieser danach sogar, so dürfen weder im Blick auf den Zweifelssatz noch aus sonstigen Gründen diesbezügliche Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten vorgenommen werden.
⒊ Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für den Fall eines Schuldnachweises ist zu bemerken:
Die Anklageschrift bewertet die Vorwürfe als Vergewaltigung in der Variante der Ausnutzung einer schutzlosen Lage. Der Tatbestand setzt allerdings voraus, dass das Opfer gerade aus Furcht vor gewaltsamen Nötigungshandlungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet; nur "gelegentlich" einer objektiv schutzlosen Lage vollführte sexuelle Handlungen genügen nicht. Für die Annahme des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB reicht das Absperren einer Tür dann nicht hin, wenn es der Vorsorge vor Störungen, nicht aber der Ermöglichung der sexuellen Handlung dienen soll. Demgemäß würde es für den Vorwurf der Vergewaltigung darauf ankommen, ob das festgestellte Herunterdrücken der Nebenklägerin durch den Angeklagten die Fortsetzung des Geschlechtsverkehrs ermöglichen sollte.»
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▷ Part ₂ ‧ Die Enthüllung von 2020
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Urteil
▪︎ «Entzug der ärztlichen Approbation: sexueller Missbrauch unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses»
Einleitung
▪︎ «Dem Arzt ist die ärztliche Approbation zu entziehen, wenn er sich eines Verhaltens schuldig macht, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Die Unwürdigkeit ergibt sich allein daraus, dass er eine Patientin unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses sexuell missbraucht.»
▪︎ «Ein solches Fehlverhalten ist mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren.»
▪︎ «Hat sich ein Arzt als zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig erwiesen, erfordert die Wiedererlangung der Würdigkeit regelmäßig einen längeren inneren Reifeprozess zur Kompensation [noch mehr Salat-Schütteln?] der ZU TAGE GETRETENEN charakterlichen Mängel. Allein durch bloßen Zeitablauf kann nicht auf eine Wiedererlangung der Würdigkeit geschlossen werden.»
Fall
▪︎ Der Fall VG Berlin 17 K 5/20 vom 16. November 2020 betrifft den Entzug der ärztlichen Approbation eines Frauenarztes aufgrund schwerwiegenden sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses nach § 174c StGB.
▪︎ «Der 1949 geborene Kläger verfügt seit 1976 über eine Approbation als Arzt. Seit 1982 ist er Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Er übte seinen Beruf zunächst in einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis in München aus. Von 1997 bis 2016 betrieb er eine reproduktionsmedizinische Gemeinschaftspraxis in Berlin, zuletzt gemeinsam mit Herrn Dr. M.»
I
Also 1949 geboren; mit 27 Arzt und als Assistenzarzt in die Gynäkologie.
Mit 33 dann zum Frauenarzt ernannt. Dann zwischen 1982 und 1997 gynäkologische Gemeinschaftspraxis München. 1997 bis 2016 reproduktionsmedizinische Gemeinschaftspraxis Berlin.
Also zwischen dem 33. und dem 48. LJ in München. Zwischen 48 und 67 Berlin. Haupttat 2009 mit ca. 60 Jahren.
▷
▪︎ Hauptvorwurf: «Am 23. September 2009 untersuchte der Kläger seine Patientin Frau L...(im Folgenden: Frau L.) im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung. Frau L. erhob danach gegen ihn den Vorwurf der Vergewaltigung. Die Ärztekammer leitete deswegen ein förmliches Untersuchungsverfahren ein.»
▪︎ «Das Landgericht stellte fest, dass der Kläger [der Frauenarzt] seinen erigierten Penis in die Vagina der auf dem gynäkologischen Stuhl liegenden Frau L. eingeführt hat, wobei Frau L. damit nicht einverstanden war, sondern lediglich mit einer gynäkologischen Untersuchung rechnete. Der Kläger täuschte eine gynäkologische Untersuchung vor und vollzog nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit der Patientin.»
Die Patientin wurde traumatisiert
▪︎ «Das Landgericht stellte Folgendes fest: Zum Behandlungstermin am 23. September 2009 um 10:30 Uhr erschien Frau L. mit ihrem Ehemann Herrn L... (im Folgenden: Herr L.). Beide meldeten sich bei den Arzthelferinnen am Empfang und nahmen sodann vor dem Sprechzimmer des Klägers Platz. Herr L. ging auf die Toilette. Währenddessen rief der Kläger Frau L. in sein Sprechzimmer und später in das daran angrenzende Untersuchungszimmer. Im Untersuchungszimmer entkleidete sich Frau L. am Unterleib und setzte sich auf den gynäkologischen Untersuchungsstuhl. Der Kläger folgte ihr in das Untersuchungszimmer und verschloss sodann die vom Untersuchungs- zum Sprechzimmer führende Verbindungstür, was er ansonsten bei Untersuchungen seiner Patientinnen regelmäßig nicht tat. Der Kläger stellte den elektromotorisch betriebenen Behandlungsstuhl dergestalt ein, dass das Becken von Frau L. höher als ihr Kopf gelagert war. Frau L. konnte ihren Unterleib nicht sehen. Der stehende Kläger untersuchte sodann Gebärmutter und Eierstöcke, indem er ihr eine Ultraschallsonde vaginal einführte. Mit der zweiten Hand tastete er den Unterleib von Frau L. von außen ab und griff dieser an den Oberschenkel. Anschließend nahm er auch eine manuelle Untersuchung der Vagina vor. Dazu führte er den Finger einer mit einem Einmalhandschuh überzogenen Hand in die Vagina der Patientin ein. Die Untersuchungen dauerten länger als die früher bereits bei Frau L. vorgenommenen Untersuchungen. Der Kläger öffnete sodann den Reißverschluss seiner Hose und führte, sich bewusst die Position der Patientin auf dem medizinische Behandlungsstuhl und deren Vertrauen in ihn als ärztlichen Behandler zunutze machend, absichtlich seinen erigierten Penis in die Vagina der lediglich mit medizinischen Untersuchungshandlungen rechnenden und nicht mit Geschlechtsverkehr einverstandenen Frau L. ein und übte Beischlafbewegungen aus, indem er sein Becken vor und zurück bewegte. Frau L. sah, wie sich die Schultern des Klägers vor- und zurückbewegten, und ging zutreffend davon aus, dass es sich hierbei um die Gegenbewegung zu den Beischlafbewegungen des Klägers handelte. Sie richtete sich auf, woraufhin der Kläger ihren Oberkörper mit der Hand in die vorherige Position zurückdrückte. Daraufhin richtete sie sich erneut auf. Der Penis des Klägers befand sich in diesem Moment noch immer in der Vagina von Frau L., was diese nunmehr auch sah. Spätestens jetzt sagte Frau L. mehrfach „Nein“. Sie drängte den Kläger mit beiden Händen von sich, woraufhin er seinen Penis aus ihrer Vagina zog. Sodann rief sie nach Herrn L. und forderte diesen auf, zu ihr zu kommen. Dieser trat daraufhin an die Tür zwischen Sprechzimmer und Untersuchungszimmer und versuchte diese zu öffnen, was ihm aber aufgrund der Verriegelung nicht gelang. Der Kläger bat Frau L., ihrem Mann nichts von dem Vorfall zu erzählen. Frau L. entriegelte sodann die Tür und öffnete diese. Herr L. betrat das Untersuchungszimmer. Der Kläger hielt seine Hände vor den Schoßbereich. Frau L. rief ihrem Ehemann in der Sprache Khmer zu, der Arzt habe „Sex mit ihr gemacht“, er solle ihn fragen, warum er das getan habe, was der Ehemann dann auch in deutscher Sprache tat.»
▪︎ «Das Landgericht Berlin verhängte eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten sowie ein 4-jähriges Berufsverbot für die Behandlung weiblicher Patienten.»
▪︎ «Der Kläger nahm mit Schreiben vom 21. August 2017 Stellung. Der beabsichtigte Widerruf der Approbation sei rechtswidrig, denn das strafrechtliche Urteil sei unrichtig. Er habe Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt und bereite ein Wiederaufnahmeverfahren vor. Diese Rechtsmittel seien abzuwarten. An das strafrechtliche Berufsverbot halte er sich.»
▪︎ «Mit der am 27. November 2017 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Widerruf seiner Approbation. Er sei weder unwürdig noch unzuverlässig, den ärztlichen Beruf auszuüben. Das rechtskräftige Strafurteil des Landgerichts Berlin sei ein Fehlurteil. Die ihm vorgeworfene Tat sei anatomisch nicht möglich gewesen, so habe es auch der in der Strafverhandlung gehörte Sachverständige Dr. A. bestätigt.»
▪︎ «Die Behauptung des Klägers, der Sachverständige habe in der Strafverhandlung gesagt, die Tat sei anatomisch nicht möglich gewesen, kann nicht überzeugen. Sie ist als bloße Schutzbehauptung zu werten.»
▪︎ «Das Landgericht Berlin setzte in seinem Urteil eingehend mit der Frage auseinander, ob das durch Frau L. beschriebene Tatgeschehen medizinisch-anatomisch möglich war. Insofern schloss sich das Landgericht nach eigener kritischer Prüfung den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. A. an, der ein erfahrener Facharzt für Frauenheilkunde ist und der angab, an seinem eigenen Untersuchungsstuhl die für den Fall entscheidende Einstellung vorgenommen zu haben. Aus seinen Ausführungen ergebe sich, dass sowohl der Ablauf der geschilderten Tat als auch die Beobachtung der sich bewegenden Schultern des Klägers anatomisch möglich seien. Er führte anknüpfend an die Bekundung von Frau L., sie habe auf dem Untersuchungsstuhl liegend nur die sich bewegenden Schultern des Klägers wahrgenommen, aus, es gebe keine Position des gynäkologischen Untersuchungsstuhls, aus der eine auf dem Stuhl auf dem Rücken liegende Patientin ausschließlich die Schultern und den Kopf eines mit ihr den Geschlechtsverkehr ausübenden Mannes der Größe des Klägers erkennen könne, weil das mögliche Blickfeld auch bei äußerst tief gelagertem Kopf der Patientin tiefer beginne. Aus der geschilderten Position sei Frau L. bei Blick in Richtung des Klägers aus anatomischen Gründen nicht daran gehindert gewesen, den gesamten Oberkörper des Klägers zu sehen. Es sei jedoch plausibel, dass sie aus dieser Position den Genitalbereich nicht erkennen konnte. Für das Landgericht bestand insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau L. angab, die sich bewegenden Schultern wahrgenommen zu haben, nicht aber behauptete, sie hätte den Kläger aus ihrer Position nur ab den Schultern aufwärts erkennen können, kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Tat sich wie festgestellt abgespielt haben konnte. Aus der im Verwaltungsverfahren eingeholten schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen ergibt sich im Übrigen nichts anderes.»
Rechtliche Grundlage des Approbationsentzugs
▪︎ «Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin widerrief 2017 die Approbation gemäß §5 Abs. 2 BÄO.»
▪︎ Begründung: «Mit der Vornahme sexuell motivierter Handlungen unter dem Vorwand bzw. im Zusammenhang [!] mit ärztlichen Behandlungen habe er das in ihn gesetzte Vertrauen in schwerster Weise verletzt und damit das Ansehen der Ärzteschaft und das Vertrauen in die Integrität der ärztlichen Berufsausübung beeinträchtigt. Es wiege besonders schwer, wie er die nicht vorhandene Einwilligung der Patientin durch das Vortäuschen einer Behandlung mit medizinischem Gerät umgangen habe. Seine Verfassungsbeschwerde und ein beabsichtigter Wiederaufnahmeantrag könnten zu keiner anderen Beurteilung führen.»
II
Der Kläger nutzte gezielt sprachlich und emotional vulnerable Patientinnen aus, insbesondere Migrantinnen in Kinderwunschbehandlung.
Wiederholungstaten von 2003-2016 zeigten ein systematisches Missbrauchsmuster.
▷
Verlauf
Vor der Haupttat 2009
▪︎ «An einem nicht mehr feststellbaren Tag wendete sich eine Mitarbeiterin der damaligen Gemeinschaftspraxis in München an einen Arzt der Praxis und teilte ihm mit, dass eine Patientin „heulend“ im Blutabnahmelabor der Praxis sitze. Als der Arzt die Patientin aufsuchte, berichtete sie von einem Übergriff des Klägers. Der Kläger habe bei einer Inseminationsbehandlung ihre Klitoris mit der Hand stimuliert. Dies habe er ihr gegenüber explizit damit erklärt, dass eine solche Stimulation bei der Insemination die Empfängnischancen erhöht. Dies ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch falsch. Der Kläger stritt den Vorwurf damals ab. Die drei anderen Berufsträger der Praxis schlossen den Kläger daraufhin aus der Gemeinschaftspraxis in München aus und beendeten damit die ca. zehnjährige Zusammenarbeit mit dem Kläger. Der Kläger nahm den Ausschluss hin und leitete keine rechtlichen Schritte dagegen ein.»
▪︎ «In den Jahren 2003 und 2004 missbrauchte der Kläger zudem eine weitere Patientin sexuell. Die Patientin T...befand sich damals in der Kinderwunschbehandlung der Gemeinschaftspraxis des Klägers in Berlin. Sie war eigentlich bei Herrn Dr. M...in Behandlung, was bereits zu der Geburt ihres ersten Kindes geführt hatte. Sie hatte nur ausnahmsweise einen Termin beim Kläger vereinbart, weil Herr Dr. M...verhindert war. Vor der Insemination strich er mit einem Daumen mehrfach über die Klitoris der Patientin sagte sinngemäß: „So haben Sie das gerne, nicht?“, wobei er weiter mit dem Daumen die Klitoris streichelte.»
▪︎ «Im Jahr 2005 weitete der Kläger die Vagina einer Patientin mit Zeigefinger und Mittelfinger, was er gegenüber einer anwesenden Zeugin damit begründete, dass aufgrund eines Vaginismus der Patientin der Kopf der Ultraschallsonde zu groß sei. Währenddessen stimulierte der Kläger über einen Zeitraum von mehreren Minuten mit dem Daumen die Klitoris der Patientin, was er damit rechtfertigte, dass dies dazu führe, dass die Patientin weniger Schmerzen verspüre.»
▪︎ «Schließlich spreizte der Kläger bei einem Behandlungstermin zwischen 2007 und der ersten Jahreshälfte 2009 im Beisein einer Zeugin bei einer Behandlung die Schamlippen einer Patientin, ohne dass die Zeugin hierbei einen medizinischen Anlass erkennen konnte.»
Nach 2009
▪︎ «Die Staatsanwaltschaft Berlin klagte den Kläger am 28. Februar 2019 an, in der Zeit vom 16. August 2016 bis zum 31. August 2017 durch drei selbstständige Handlungen sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer körperlichen Krankheit zur Beratung und Behandlung anvertraut war, unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses vorgenommen zu haben, sowie einen Beruf ausgeübt zu haben, obwohl ihm dies strafgerichtlich untersagt gewesen sei.»
▪︎ «Dem Kläger wird dabei Folgendes zur Last gelegt: Er soll am 16. August 2016 im Transfersraum seiner Praxis in Berlin die Klitoris der Patientin G...mit Öl massiert haben und sodann mit mehreren Fingern in die Vagina der Patientin eingedrungen sein, obwohl dies medizinisch nicht indiziert war, was der Kläger wusste und wobei er bewusst ausnutzte, dass die Patientin aufgrund des vertraulichen Behandlungsverhältnisses die Möglichkeit in Erwägung ziehen konnte, dass seine Handlungen vermeintlich Teil der Behandlung sein könnten. Dem Ziel der sexuellen Stimulation folgend habe der Kläger mit dem Ultraschallgerät an der Klitoris hoch und runter gestrichen, bevor er mit dem Gerät in die Vagina eindrang. Schließlich habe der Kläger erneut seine Finger in die *Scheide* der Patientin eingeführt, um sich sexuell zu erregen. Am 17. August 2016 habe der Kläger mit dem Ultraschallgerät die Klitoris der Patientin rauf und runter gestrichen, um sich sexuell zu stimulieren. Anschließend habe er das Ultraschallgerät in den vorderen Bereich ihrer Vagina eingeführt. Die Patientin habe sinngemäß geäußert, dass er ihre Gebärmutter nicht mehr anfassen solle. In der Absicht, sich erneut sexuelle Befriedigung zu verschaffen, habe der Kläger gesagt, „Sie sagen komische Sachen“ und sei mit seinen Fingern in die Vagina der Patientin eingedrungen, wobei er sie gefragt habe, ob sie Schmerzen fühle, was die Patientin verneint habe. Dabei sei dem Kläger bewusst gewesen, dass die Patientin seine Handlungen als vermeintlichen Bestandteil der Behandlung dulden würde.»
▪︎ «Auch im Hinblick auf den hinreichenden Tatverdacht dahingehend, dass er am 12. August 2017 einer Patientin seiner Praxis per E-Mail eine Kinderwunschbehandlung angeboten haben soll, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sein skrupelloses Verhalten geändert hat.»
▪︎ «Auch in einer Gesamtschau dieser festgestellten Vorfälle ist der Kläger unwürdig zur Ausübung seines Berufs. Er ist durch das Ausnutzen bzw. Vortäuschen der Behandlungssituationen besonders hinterhältig vorgegangen und hat das Vertrauen seiner Patientinnen, die durch den nicht erfüllten Kinderwunsch in einer besonders vulnerablen Position waren, schamlos ausgenutzt. Zu seinen Lasten geht, dass sein Vorgehen planmäßig und zielgerichtet war. Sein skrupelloses Verhalten zeigt sich vor allem dadurch, dass er sich als Tatopfer in der Regel der deutschen Sprache kaum mächtige Ausländerinnen ausgesucht hat und wusste, unter welchem psychischen Druck seine Patientinnen standen.»
Abweisung der Klage
[Das Verwaltungsgericht Berlin bestätigte den Approbationsentzug aus folgenden Gründen]
▪︎ «Der Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sei gerechtfertigt zum Schutz der Patienten und des öffentlichen Vertrauens in die Ärzteschaft.»
▪︎ «Keine Wiedererlangung der Würdigkeit: Ein innerer Reifeprozess des Klägers war nicht erkennbar.»
▪︎ «Die sofortige Vollziehbarkeit wurde aufgrund der Gefährdung weiterer Patientinnen als notwendig erachtet.»
Implikationen & Bedeutung des Falls
Der Fall unterstreicht die Vulnerabilität von Patientinnen in gynäkologischen, geburtshilflichen und reproduktionsmedizinischen Behandlungen.
Systemische Defizite werden offenbart, wie fehlende Aufsicht in Einzeluntersuchungen und späte Sanktionierung.
Das Urteil bekräftigt, dass sexueller Missbrauch im Behandlungsverhältnis stets zur Unwürdigkeit führt – unabhängig späterer Berufsabsichten.
Es zeigt die Notwendigkeit von verpflichtenden Chaperones und anonymen Meldestellen für Betroffene.
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Meinung:
➛ Dieser Fall hätte spätestens ab dem 16. November 2020 für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Medizin, jedoch ganz besonders in der Gynäkologie, sorgen müssen und unterstreicht (alle Jahre wieder) die Notwendigkeit strengerer Schutzmechanismen für Patientinnen.
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Appendix ‧ Passagen aus dem Urteil
▪︎ «Der Widerruf der Approbation wegen Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit dient dem Schutz der Gesundheitsversorgung der einzelnen Patienten sowie der Bevölkerung insgesamt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1997 – BVerwG 3 C 12/95) und damit letztlich dem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut der Volksgesundheit.»
▪︎ «In dessen Interesse müssen Patientinnen und Patienten die Gewissheit haben, sich den Personen, denen die staatliche Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde verliehen wurde, uneingeschränkt anvertrauen zu können, so dass sie von der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe nicht durch Angst oder Misstrauen abgehalten werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17).»
▪︎ «Ein Arzt ist unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs, wenn er aufgrund seines Verhaltens nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG etwa Beschlüsse vom 31. Juli 2019 – BVerwG 3 B 7/18; und vom 16. Februar 2016 – BVerwG 3 B 68/14). Dieses Vertrauen wird zerstört durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist.»
▪︎ «Der Kläger hat das in ihn gesetzte Vertrauen in schwerster Weise verletzt und damit das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigt.»
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