Odenthal
Der Triebtäter in Frauenarzt-Gestalt
Maskierter Missbrauch in der Frauenarzt-Praxis
«Mit einem dickeren Finger» · Wie ein Frauenarzt seine Position für seine sexuelle Stimulation missbrauchte
Der Fall des Frauenarztes Dr. Christian M. aus Odenthal bei Köln legt die alarmierenden Realitäten sexueller Übergriffe in Praxen von Frauenärzten offen. Im Jahr 2013 missbrauchte der Frauenarzt nachweislich mehrere Patientinnen unter dem Deckmantel medizinischer Behandlungen, bevor ihm Anfang 2014 die Approbation entzogen wurde. Die umfangreichen Gerichtsakten und Zeugenaussagen belegen ein durchdachtes System von Übergriffen, dessen juristische Aufarbeitung sich bis 2019 hinzog.
Die Vergewaltigungen
Der gravierendste Fall ereignete sich am 19. November 2013. Patientin C., die seit etwa 12 Jahren zu Dr. M. ging, suchte seine Praxis wegen einer Pilzinfektion auf. Auf dem Behandlungsstuhl liegend, begann der damals 63-jährige Arzt, angeblich wegen eines «Ausflusses» ihren Vaginalbereich und die äußeren Geschlechtsteile mit einer Salbe einzureiben. Er setzte die Massage mit Öl im Bereich der Oberschenkel fort mit der Begründung, sie habe «trockene Haut».
Während dieser Handlungen fragte er wiederholt, ob dies unangenehm sei, forderte sie auf, die «Behandlung zu genießen» und machte ihr Komplimente über ihren «tollen Körper». Unter dem Vorwand, die Oberschenkel auch von hinten einreiben zu müssen, veranlasste er die Patientin, sich mit dem Rücken zu ihm vor den Untersuchungsstuhl zu stellen und den Oberkörper auf der Rückenlehne abzulegen.
In dieser Position kündigte er an, sie nochmals «mit einem dickeren Finger» von hinten einreiben zu wollen. Stattdessen führte er seinen Penis in ihre Vagina ein und fasste ihre Brust an. Die Patientin realisierte erst in diesem Moment den sexuellen Missbrauch – ein massiver Missbrauch des Vertrauensverhältnisses, der im Gerichtsurteil dokumentiert wurde. Sie erklärte später, wie sie aufgrund ihres «blinden» Vertrauens als langjährige Patientin und der geschickten Tarnung der Übergriffe als medizinische Maßnahmen erst im Moment des Geschlechtsverkehrs begriffen hatte, was geschah.
Weitere explizite Übergriffe
- Der Arzt diagnostizierte bei mehreren Patientinnen gezielt «Rötungen der Klitoris» oder «Pilzinfektionen», um dann die «notwendige Behandlung» mit Cremes und Ölen durchzuführen
- Die Manipulationen an der Klitoris erfolgten ohne jede medizinische Notwendigkeit und dienten ausschließlich seiner sexuellen Erregung
- Bei einer Patientin führte er mit seinem Finger eine angebliche «Untersuchung des Anal-Bereichs» durch
- Er bot Patientinnen explizit Intimrasuren an
- Eine Patientin sollte während einer «Behandlung» durch seine Manipulationen zum Orgasmus kommen, wie in der Anklage dokumentiert wurde. Dies geschah tatsächlich, und die Frau schämte sich später zutiefst dafür
- Er bot einer Patientin offen an, einen Orgasmus bei ihr auszulösen
Ein Gutachter für Frauenheilkunde stellte im Prozess unmissverständlich fest: «Es gibt keine medizinische Indikation, bei der man als Frauenarzt eine Creme einmassieren müsste.» Alle diese «Behandlungsmethoden» waren nicht medizinisch dokumentiert und dienten ausschließlich der sexuellen Stimulation des Täters und teilweise der manipulativen sexuellen Erregung der Patientinnen.
Systematische Diskreditierung der Betroffenen
Ein besonders niederträchtiges Muster zeigte sich in der systematischen Diskreditierung der Betroffenen durch den Täter und seine Verteidigung:
- Die erste Patientin, die Anzeige erstattete, bezeichnete er öffentlich als «psychisch kranke Lügnerin»
- Als weitere Frauen Anzeige erstatteten, behauptete er, es gebe «offenbar eine Verschwörung im Ort gegen ihn»
- Während des Prozesses sprach sein Verteidiger, Professor Ulrich Sommer, von «Massenhysterie» – ein Begriff, der historisch zur Pathologisierung und Abwertung von Frauenerfahrungen missbraucht wurde
- Die 14 weiteren mutmaßlichen Betroffenen, die sich während des Prozesses meldeten, bezeichnete die Verteidigung als «Schwemme von Trittbrettfahrerinnen»
- Der Richter wies diese Strategie explizit zurück und nannte sie «schlicht unangebracht»
Die Strategie, Betroffene sexualisierter Gewalt zu diskreditieren, folgt einem typischen Muster: Frauen werden als emotional instabil, übertreibend oder lügend dargestellt, obwohl sie – wie der Richter feststellte – «keine Motive hatten zu lügen». Diese Diskreditierungstaktik gehört zu den wirksamsten Methoden, um Täter zu schützen und Betroffenen die Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Manipulation & Täterstrategien im Detail
Die Vertuschungstaktiken des Täters waren ebenso berechnend wie seine Übergriffe:
- Einer langjährigen Patientin, die nach dem Missbrauch «völlig verstört» reagierte, bot er Sekt an und sagte wörtlich: «Schreien Sie mich ruhig an» und «Vergessen Sie das einfach»
- Diese Frau bezeichnete er später während der Ermittlungen öffentlich als «psychisch kranke Lügnerin»
- Als weitere Frauen Anzeige erstatteten, behauptete er, es gebe «offenbar eine Verschwörung im Ort gegen ihn»
- Während des Prozesses sprach sein Verteidiger, Professor Ulrich Sommer, von «Massenhysterie»
- Die 14 weiteren mutmaßlichen Betroffenen, die sich während des Prozesses meldeten, bezeichnete die Verteidigung als «Schwemme von Trittbrettfahrerinnen», was der Richter als «schlicht unangebracht» zurückwies
Besonders hinterhältig: Der Arzt sorgte systematisch dafür, dass bei den Untersuchungen keine Arzthelferinnen anwesend waren, die als Zeuginnen hätten fungieren können. Diese strategische Planung wurde im Urteil explizit als belastendes Element gewertet.
Traumatische Folgen für die Betroffenen
Die psychischen Folgen für die betroffenen Frauen waren verheerend:
- Eine Patientin berichtete in ihrer Zeugenaussage von konkreten Suizidgedanken infolge des Missbrauchs
- Eine andere Patientin befand sich in psychologischer Behandlung
- Der Vorsitzende Richter stellte fest: «Die Betroffenen leiden noch heute unter den Taten»
- Besonders traumatisch: Viele Frauen erkannten die Übergriffe zunächst nicht als solche, weil sie unter dem Deckmantel medizinischer Notwendigkeit erfolgten
- Die ungewollte sexuelle Erregung und zum Teil sogar Orgasmen während der Übergriffe verursachten massive Scham- und Schuldgefühle bei den Betroffenen
Der vollständige Prozessverlauf
Der juristische Weg war lang und für die Betroffenen belastend:
- Nach den ersten Anzeigen im Jahr 2013 ordnete das Verwaltungsgericht Köln im Januar 2014 das Ruhen der Approbation des Arztes an
- Der Frauenarzt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seine Praxis verkauft
- Im April 2017 begann der Strafprozess vor dem Landgericht Köln
- Die Staatsanwaltschaft forderte eine Bewährungsstrafe von 20 Monaten
- Die Verteidigung plädierte auf Freispruch
- Das Gericht verhandelte an 20 Tagen und hörte insgesamt 49 Zeugen
- Am 13. Juli 2017 verurteilte das Landgericht Köln den Arzt wegen sexuellen Missbrauchs von drei Patientinnen zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft und verhängte zusätzlich ein dreijähriges Berufsverbot
- Die Verteidigung legte Revision ein
- Am 7. Mai 2019 – fast sechs Jahre nach den ersten bekannten Übergriffen – verwarf der Bundesgerichtshof die Revision und bestätigte das Urteil
- Fünf Monate der Strafe wurden wegen der langen Verfahrensdauer als bereits vollstreckt angerechnet
Die ungebrochene Selbstwahrnehmung des Täters
Besonders beunruhigend war die Haltung des Täters bis zum Ende des Verfahrens:
- Der Arzt stritt alle Vorwürfe vehement ab und forderte Freispruch
- Sein einziges «Zugeständnis» bestand darin, dass er seine «Methoden überdenken» wolle
- In seinem letzten Wort vor Gericht ließ er explizit durchblicken, dass er wieder als Arzt praktizieren wolle
- Diese fehlende Einsicht veranlasste den Vorsitzenden Richter zu der unmissverständlichen Aussage: «Sie sind nicht Opfer, sondern Täter»
- Das dreijährige Berufsverbot begründete der Richter mit den Worten: «Die Gefahr besteht, dass er es wieder tut»
Die späte Aufdeckung weiterer Betroffener
Besonders alarmierend: Nach den ersten Medienberichten über den Prozessbeginn meldeten sich zahlreiche weitere potenzielle Betroffene:
- Insgesamt 14 weitere mutmaßliche Betroffene kontaktierten während des Prozesses die Behörden
- Eine möglicherweise betroffene Frau saß sogar im Gerichtssaal 13 als Zuschauerin, bis ein Polizeibeamter aus Bergisch Gladbach das Gericht darauf aufmerksam machte
- Die hohe Zahl deutet auf ein systematisches, jahrelanges Muster von Übergriffen hin
- Der Richter stellte klar, dass die Betroffenen «keine Motive hatten zu lügen»
Systematischer Missbrauch unter dem Deckmantel ärztlicher Expertise
Der Fall des Frauenarztes Dr. Christian M. aus Odenthal zeigt eindrücklich, wie die besondere Macht- und Vertrauensposition eines Frauenarztes für systematischen sexuellen Missbrauch ausgenutzt werden kann. Die medizinische Autorität und das mangelnde Wissen vieler Patientinnen über die Grenzen notwendiger frauenärztlicher Untersuchungen schufen einen Raum, in dem der Täter über Jahre ungestört agieren konnte.
Besonders heimtückisch: Er nutzte gezielt sein medizinisches Wissen, um die Übergriffe als notwendige Behandlungen zu tarnen und spielte mit der Scham und dem Vertrauen seiner Patientinnen. Die langwierige juristische Aufarbeitung und das letztendlich bestätigte Urteil zeigen jedoch, dass solche Taten nicht ungesühnt bleiben müssen – auch wenn der Weg zur Gerechtigkeit für die Betroffenen oft quälend lang und belastend ist.
Die Abwesenheit von Arzthelferinnen, das Fehlen klarer Richtlinien für intime Untersuchungen und das mangelnde Bewusstsein für solche Manipulationstaktiken schaffen bis heute einen gefährlichen Raum, in dem ähnliche Übergriffe möglich sind. Der Fall mahnt zu mehr Aufklärung, stärkeren Kontrollmechanismen und einem offeneren gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt im medizinischen Kontext.