Göttingen
Von Menschenrechtsaktivist zum Sexualstraftäter
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Göttinger Arzt gesteht Vergewaltigung einer
13-Jährigen
Der Täter und seine Vorgeschichte
Ein ehemaliger Allgemeinarzt aus Göttingen, Norbert V., der einst als internationaler Menschenrechtsaktivist Bekanntheit erlangte, steht nun wegen mehrfacher Fälle sexualisierter Gewalt gegen ein minderjähriges Mädchen vor Gericht. Der 52-jährige Mann, der in den 1990er Jahren eine Praxis für Allgemeinmedizin in Göttingen führte, war vor mehr als einem Jahrzehnt weltweit in den Medien präsent, als er vor der spanischen Botschaft in Peking gegen das nordkoreanische Regime protestierte. Gemeinsam mit anderen Aktivisten hatte er damals 25 Nordkoreanern zur Flucht verholfen – Bilder dieser Aktion gingen um die Welt.
In der Gerichtsverhandlung erschien der einst selbstbewusste Arzt nur noch als Schatten seiner selbst: abgemagert, mit langen grauen Haaren, üppigem Bart und schwarzer, hochgeschlossener Kleidung. Anders als bei früheren Konfrontationen mit asiatischen Sicherheitskräften hielt er nun den Blick gesenkt, als Justizbeamte ihn in Handschellen in den Verhandlungssaal führten. Auffällig war, dass der Angeklagte ausdrücklich darauf bestand, ungepixelt auf allen Bildern zu erscheinen, wie die lokale Presse berichtete.
Die Straftaten und die Betroffene
Laut Anklage missbrauchte der Mediziner ab Juni 2012 ein damals 13-jähriges Mädchen wiederholt sexuell, um seine eigene sexuelle Erregung und Befriedigung zu erlangen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm ursprünglich 21 Fälle schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern vor, das Gericht ließ jedoch nur 14 Anklagepunkte zu. Bei mindestens zwei Gelegenheiten vollzog er ungeschützten Geschlechtsverkehr mit der Minderjährigen, was rechtlich als besonders schwerer Fall des sexuellen Missbrauchs eingestuft wird. Die Übergriffe fanden auf Wiesen und Waldlichtungen im Göttinger Umland sowie im Wohnhaus seiner geschiedenen Ehefrau statt.
Die sexuellen Kontakte erstreckten sich über mehrere Monate, wobei der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft durchaus wusste, dass sein Handeln verboten war. Ende Dezember 2012 wurde er nach einem Hinweis der Eltern des Mädchens festgenommen und befand sich seitdem wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft.
Der Prozess und die psychologische Bewertung
Am 28. Mai 2013 begann der Prozess vor dem Landgericht Göttingen. Norbert V. saß neben seinem Verteidiger Mirko Oestreich. Gleich zu Beginn gestand der Angeklagte mit brüchiger Stimme alle Taten: «Ich gestehe alle Taten», sagte er knapp. Weitere Aussagen wollte er jedoch nicht machen. Im weiteren Verlauf des Prozesses wurde ein psychiatrisches Gutachten vorgelegt, das dem Angeklagten eine hysterische (histrionische) Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägt narzisstischen Zügen attestierte.
Der Gutachter erklärte vor Gericht, dass eine solche Störung durch egozentrisches und theatralisches Verhalten sowie ein übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Bestätigung, Anerkennung und Lob gekennzeichnet sei. Diese Charakteristik präge auch die Beziehungen des Angeklagten zu anderen Menschen. Die Beziehung zu der 13-Jährigen habe nicht nur seiner sexuellen Befriedigung, sondern auch diesem psychologischen Zweck gedient – das Mädchen habe ihn bewundert und zu ihm aufgeblickt, was sein «fragiles Selbstwertgefühl stabilisiert» habe.
Früheres auffälliges Verhalten
Das theatralische Verhalten des Arztes war bereits in früheren Jahren aufgefallen. 1998 wurde er vom Amtsgericht Göttingen zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er sich nach einem Zivilprozess im Göttinger Gerichtsgebäude eine Spritze an den Hals gesetzt und sich vor laufenden Kameras – die er selbst einbestellt hatte – und etwa 60 anwesenden Patienten eine Treppe hinuntergestürzt hatte. Diese Aktion sollte offenbar seinen Protest gegen das damalige Gesundheitsstrukturgesetz zum Ausdruck bringen.
Nach diesem Vorfall gab er seine Praxis in Göttingen auf und lebte mehrere Jahre in Asien, wo er durch medienwirksam inszenierte Aktionen gegen das nordkoreanische Regime wiederholt Schlagzeilen machte. Zuletzt war er für eine internationale Ärzteorganisation in Korea tätig gewesen. Laut eigenen Angaben kehrte er etwa fünf Jahre vor seiner Verhaftung nach Göttingen zurück.
Plädoyers und Urteil
Die Staatsanwaltschaft Göttingen forderte am 6. Juni 2013 eine vierjährige Haftstrafe für den Angeklagten. Die Verteidigung plädierte hingegen für eine zweijährige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte.
Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung bewerteten die sexualisierte Gewalt als «minder schweren Fall», da das 13-jährige Mädchen nach eigenen Angaben die sexuellen Kontakte selbst gewollt hatte – was juristisch jedoch aufgrund ihres Alters vollkommen irrelevant ist, da Kinder unter 14 Jahren in Deutschland rechtlich nicht in sexuelle Handlungen einwilligen können.
In seinem Schlusswort sagte der Angeklagte selbst: «Ich weiß, was Missbrauch ist, und möchte dafür bestraft werden.» Am 11. Juni 2013 verkündete das Landgericht Göttingen schließlich sein Urteil: Norbert V. wurde wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu drei Jahren Haft verurteilt. Das Gericht positionierte sich damit zwischen den Forderungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung.
Faktenbox zum Fall
- Täter: 52-jähriger ehemaliger Allgemeinarzt aus Göttingen, Norbert V.
- Betroffene: 13-jähriges Mädchen
- Tatvorwürfe: 14 Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern, darunter mindestens zweimal ungeschützter Geschlechtsverkehr
- Motivation: Sexuelle Befriedigung und narzisstische Bestätigung
- Tatzeitraum: Ab Juni 2012 über mehrere Monate
- Tatorte: Wiesen und Waldlichtungen im Göttinger Umland sowie Wohnhaus der geschiedenen Ehefrau des Täters
- Psychologische Diagnose: Hysterische Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen
- Urteil: 3 Jahre Haft (Landgericht Göttingen, 11. Juni 2013)
QUELLEN
· « Allgemeinarzt gesteht Kindesmissbrauch », pid, Ärztezeitung, 28.05.2013 ·
· « Staatsanwalt will vier Jahre Haft für Hausarzt », pid, Ärztezeitung, 06.06.2013 ·
· « Sex mit Mädchen: Arzt gesteht vor Gericht », Heidi Niemann, HNA, 28.05.2013 ·
· « Arzt muss für Kindesmissbrauch drei Jahre hinter Gitter », dpa/lni, 11.06.2013 ·
· « Norbert Vollertsen », Wikipedia ·